Fritzi Ernst, Ex-Schnipo-Schranke-Hälfte und Profi im Fach „humorvolle Melancholie“ präsentierte in der Feierwerk Kranhalle am 28. Februar 2025 ihr neues Album. Zu hören waren charmant-minimalistische Songs zwischen Weltschmerz und Augenzwinkern. Ihr neues Album „Jo-Jo“ bringt NDW-Vibes und gute Laune mit Tiefgang.
Fritzi Ernst: Am Merch-Stand geht die Sonne auf
Natürlich kann man auch in den großen Buchhandlungen noch das eine oder andere Buch finden. Man muss nur lange genug suchen zwischen den meterlangen Regalen voller Klangschalen, Duftlampen und Schmuckkästchen. Denn solche sogenannten Non-Book-Artikel gelten wegen der Buchpreisbindung und der damit einhergehend geringen Gewinnspanne beim Buchverkauf für die Buch-Händler und -Händlerinnen als deren eigentliche Einnahmequelle. Ähnlich scheint es im Schallplattenhandel zuzugehen, gleichwohl dort keine Preisbindung die Gewinne schmälert. Das übernehmen hier die bekannten Musik-Streaming-Dienste. Also verkaufen Musiker*innen auch auf ihren Konzerten, die dereinst das aktuelle Album bewerben sollten, mehr Band-T-Shirts als Tonträger.
Die in Hamburg lebende Musikerin Fritzi Ernst ergänzte ihre Merchandise-Artikel, die an einem Verkaufsstand während ihrer Konzerte ebenso wie online feilgeboten werden, um eine Tasse, die sie höchsteigenselbst – wie sie auch im Konzert betont – mit einer kleinen Sonne verziert hat. Darüber hinaus gibt es passend zum aktuellen Albumtitel „Jo-Jo“ ein von der ebenfalls in Hamburg lebenden Künstlerin Danika Arndt verziertes Jo-Jo. Denn selbiges hat Danika auch für das Schallplattencover zum neuen Fritzi Ernst-Album mit Acrylfarben gemalt.
In Begleitung: Vielseitiges KĂĽnstler*innen-Team
Danika ist aber nicht nur als bildende Künstlerin ein festes Mitglied in Fritzi Ernsts Team. Seit Schnipo Schranke aufgelöst wurde, begleitet Danika die studierte Flötistin und Pianistin auf einem weiteren Keyboard. „Wir sind beide fast um die gleiche Zeit nach Hamburg gezogen und haben uns dann durch gemeinsame Ecken kennengelernt“, sagt Danika. „Und dann haben wir festgestellt: wir mögen uns. Wir wollen gerne häufiger miteinander abhängen.“ Und weil auch Danika in ihrer Kindheit nicht nur Klavierunterricht, sondern auch Gesangsunterricht gehabt hatte, konnte im gemeinsamen Abhängen der beiden Wahlhamburgerinnen auch die musikalische Seite von Danika reaktiviert werden.
Seitdem steht Danika zusammen mit Fritzi Ernst auf der Bühne, zusammen mit weiteren Musikerinnen und Musikern, die gerade zu Fritzi Ernsts Band zusammenwachsen. Der Kontrabassist und Gitarrist Francis Maheux zum Beispiel, der wie auch Fritzi Ernst in Frankfurt Musik studiert hat. Spannende Musikprojekte durfte er seitdem begleiten, sei es im Tonkünstler Orchester Niederösterreich, in der Sächsischen Staatskapelle Dresden oder in seinem eher jazzig anmutendem Free-Punk-Ensemble „freee!“, das es allerdings nur einen Konzertabend lang gab. Mittlerweile lebt Maheux wieder in Frankfurt am Main, wo er unter anderem auch als Bass-Lehrer unterrichtet.
Fliegender Wechsel: Multitalente Konzert-Besetzung
Wie auch ihre Schlagzeugerin wechselt Maheux während des Konzerts von Fritzi Ernst in der Kranhalle immer wieder zu einem der beiden Keyboards auf der Bühne, das mitunter sogar sechshändig gespielt wird. Nur die E-Bassistin Julia Förster bleibt konsequent bei ihrem Hauptinstrument. Weil sie aber auch noch eine gute Sängerin ist, ergänzt auch sie Fritzi Ernsts Chor, der sich dann auch schon mal fünfstimmig erhebt.
Solche oft auch kanonartig funktionierenden Chorgesänge muten besonders ergreifend an in einem Arrangement, das mit einem ganz besonderen Gespür für kleine Nuancen ebenso pointiert wie mitreißend wirkt. Da simuliert zum Beispiel der Gitarrist Synthesizer-ähnliche Klänge, indem er mit einer sogenannten Bottleneck die Saiten seiner E-Gitarre ganz weit oben im Bund fiepen lässt, oder er verziert ein Musikstück gegen Ende mit einer Bassfigur, die er auf seinem Kontrabass nicht zupfend, sondern mit einem Bogen zärtlich über die Saiten ziehend generiert. Die Schlagzeugerin ergänzt ihr Rhythmusinstrument auch mal um eine Triangel. Und wenn Danika und Francis gemeinsam Fritzi auf ihrem Keyboard begleiten, wechseln sie während des Vortrags auch mal im Duett trötend zu Kazoos.
Jo-Jo-Effekt: Fans feiern das Auf und Ab
Im permanenten Mittelpunkt des Geschehens steht indes Fritzi Ernst selbst, die dem Anschein nach gerne drauf verzichten würde, im Rampenlicht zu stehen. Eigentlich möchte sie doch nur ihre Musik machen, die so anmutend schön ist, dass sie auch ganz alleine bestehen könnte, wären da nicht noch diese markanten, zum Teil auffällig kindlich-naiv formulierten Songtexte, mit denen Fritzi Ernst seelische Abgründe auftut. Kaum aber blickt man in diese Abgründe, weiß man nicht, ob die schöne Musik um sie herum eine verlockende Falle war oder eine heilende, zumindest aber schützende Salbe. Bisweilen sind ihre Songs nämlich von einer tiefen Traurigkeit durchtränkt, und doch lächeln sie den Zuhörenden geradezu aufheiternd zu.
Entsprechend euphorisch feiern ihre Fans in der gut besuchten Kranhalle die Melancholie. Zugleich feiern sie allerdings auch Fritzi Ernsts raffinierten Trick, mit welchem sie jederzeit ihren vermeintlichen Seelenstrip in eine Gesellschaftskritik zu verwandeln weiß. Und plötzlich ist alles Singen über Ängste, Schwächen und Versagen ein einziger Protest, ein zorniges Aufbegehren. Darum entlässt Fritzi Ernst am Ende auch kein trauriges Publikum, sondern ein inspiriertes, das in diesem Konzert Kraft tanken durfte.

Fritzi Ernst: Gemeinschaft am Merch-Stand
Dabei sollte man im Übrigen auch nicht diejenige Wirkung des Gemeinschaftserlebens in einem Konzert unterschätzen, welche gerade in so politisch schwierigen Zeiten wie den jetzigen den nötigen Halt bietet. Und wenn die Band samt Fritzi Ernst im Anschluss noch am Merchandise-Tisch im Kranhallen-Café verweilt, um T-Shirts und Schallplatten zu signieren, steht sie den Fans auch für Gespräche zur Verfügung, in denen weitere Gemeinsamkeiten solcher Gemeinschaft auffallen. Denn auch das wird an diesem wunderbaren Konzertabend in der Kranhalle deutlich: wie auch die hiesigen Buchläden schon lange nicht mehr nur Bücher verkaufen, vermittelt ein gutes Konzert eben nicht nur gute Musik, sondern auch eine wohltuende und darum geradezu notwendige Gemeinschaft.