Zum Feierwerk Trafixx in Obersendling gehört auch ein recht großes Grundstück. Ob die obligatorische Bepflanzung die Bezeichnung Garten verdient, sei dahingestellt. Eher traurig und vernachlässigt lagen ein paar alte Reifen in der Wiese, die in der Anfangszeit des Trafixx einst als Pflanzenkübel dienten. In deren Innern spross recht undefinierbar allerlei Gewächs. Dieser Anblick schrie nach einer Veränderung.
Also entschieden wir uns im Kinder- und Jugendtreff, unsere kulturpädagogische Arbeit neben Musik, Medien und Kunst, um ein Projekt zu erweitern: Mit zwei Hochbeeten bringt das Trafixx-Team nun Kinder und Jugendliche mit Gartenarbeit in Berührung, bei der sie selbst einen kleinen Nutzgarten anlegen, pflegen und die Ernte genießen können. Der aufmerksame Leser fragt sich vielleicht: Wieso kulturelles Angebot? Was hat rumbuddeln im Dreck mit Kultur zu tun?
Kulturpädagogik am Hochbeet: Natur und Lebensmittel wertschätzen
Die Antwort darauf lautet, eine ganze Menge: Nicht nur, dass das Wort „Kultur“ (lat. cultura) nichts Geringeres heißt als „Anbau“ und in seiner ursprünglichen Form nicht etwa auf Kunst, Musik oder Theater bezogen ist, sondern auf die Pflege der Landwirtschaft. Auch kultivieren die Kinder und Jugendlichen im Hochbeet die Pflanzen wie auch ihren Erfahrungshorizont.
Die Geschichte vom Samen
Ein junger Mann betrat einen Laden. Er fragte den Verkäufer: „Was verkaufen Sie?“ Der Verkäufer gab zur Antwort: „Alles, was Sie wollen.“ Da fing der junge Mann sofort an zu bestellen. „Dann hätte ich gern: eine saubere Umwelt, das Ende der Kriege in der Welt, bessere Bedingungen für die Randgruppen in der Gesellschaft, Beseitigung der Elendsviertel und ….“ Da fiel ihm der Verkäufer ins Wort und sagte: „Entschuldigen Sie, junger Mann. Sie haben mich falsch verstanden. Wir verkaufen hier keine Früchte, wir verkaufen nur den Samen. (Urheber unbekannt)
Wie in der Geschichte vom Samen ist es auch in der Gartenarbeit mit Kindern und Jugendlichen zu sehen. Auch wenn der Satz: „Ich glaube, ich werde Gärtner“, bereits gefallen ist, verfolgt das Trafixx-Team mit dem Hochbeet-Projekt nicht das Ziel eine neue Generation Gärtner*innen heranzuzüchten, sondert sät die Samen für ein besseres Verständnis für unsere Natur und die Wertschätzung von Lebensmitteln.
Die Besucher*innen des Kinder- und Jugendzentrums genießen wie viele Stadtkinder häufig nicht den Luxus eines eigenen Gartens. Mit dem Hochbeetangebot ermöglicht das Trafixx auch den in der Stadt aufwachsenden Kindern und Jugendlichen Erfahrungen in diesem Bereich zu sammeln. Der Großteil der Besucher*innen kommen regelmäßig, manche gar täglich. Die Einbeziehung der Gartenarbeit in ihren Alltag verbindet sie nicht nur mit der Natur, sondern vermittelt ihnen auch wertvolle Lebenskompetenzen. Manchmal äußert sich das im abschätzigen Kommentar: „Die Erde stinkt!“, aber meistens in unendlich vielen Beobachtungen und Erkenntnissen, die ihnen diese völlig neue Welt offenbart:
So bemerkt beispielsweise ein Jugendlicher: „Da sind Pilze am Boden. Dürfen die so?“ Diese vielleicht etwas amüsant daherkommende Bemerkung, zeigt die Neugier und das Interesse am Hochbeet und ermöglicht ein Gespräch über Bodengesundheit. Am Ende des Tages resümiert derselbe Junge, dass der Boden zu viel Wasser bekommen hat, was gut für die Pilze, aber weniger gut für manche Pflanzen im Beet ist. So weckt im Grunde jeder Arbeitsschritt Interesse an den Lebenszyklen von Pflanzen – vom Bau des Hochbeets über das Befüllen, dem Säen der Samen, dem Pflegen der Pflanzen bis hin zur Ernte und der Zubereitung der Lebensmittel.
Hochbeet-Bau: Schritt für Schritt zum eigenen Gemüse
Doch nochmal ganz an den Anfang: Als nach der Winterschließung Bausatz und Füllung für das Hochbeet angeliefert wurden, staunten wir nicht schlecht. Denn für unsere zwei 1,9 x 1,3 Meter großen Hochbeete wurden 50 Liter Holzschnitzel, 40 Liter Kompost und 40 Liter Erde vor unserer Eingangstür abgestellt. Diese galt es bis zum Aufbau im Schuppen hintern Bolzplatz zu überwintern. Denn bei Frost konnten wir wohl kaum mit einem Gartenprojekt beginnen.
Glücklicherweise zeigten sich einige unserer Jugendlichen als hilfsbereit und betrachteten das Tragen der etwa 15 Kilo schweren Säcke als ihr Workout und trugen Sack für Sack zuerst in den Schuppen und nach der Frostperiode wieder in den Garten. Hier kam auch der Wettkampfgeist zum Tragen und sie mussten gegenüber den Gleichaltrigen unter Beweis stellen, wie stark sie sind. Ohne jegliche Zerrung oder Verhebung konnten wir schließlich im Frühling mit dem Bau und Befüllen der Hochbeete beginnen. Mädchen und Jungen nahmen den Akkuschrauber in die Hand und ließen tatkräftig Brett für Brett die Hochbeete entstehen. Wir konnten auch die Kids empowern, die davor meinten, sie könnten das nicht. Beim Befüllen der Beete mussten wir die Jugendlichen sogar bremsen, um ihnen zu erklären dass es nicht egal sei welchen Sack sie in das Hochbeet kippen.
Nun ging es ans Pflanzen. Unser erster Versuch, direkt im Beet Gemüsesamen zu säen, scheiterte kläglich an den Eisheiligen. Die Älteren von uns und alle Gartenexperten wissen sicher was sich dahinter verbirgt: Laut Bauernregeln sind im Mai noch ein paar frostige Nächte zu erwarten, die frühzeitige Saat manches Jahr erfrieren lässt. Eisheilige werden sie deshalb genannt, weil die Namenstage mehrerer katholischer Heiliger Anfang bis Mitte Mai liegen. Also in dem Zeitraum, wenn es nachts nochmal zu Frost kommen kann.
Auch aus Scheitern lernt man. So setzen wir beim zweiten Versuch auf das Vorzüchten von Samen in einem Setzkasten, den wir auf der Fensterseite der Werkstatt aufstellten. Ein paar Kinder achteten darauf, dass die heranwachsenden Pflänzchen genug Wasser und Sonne bekamen, sodass sie schließlich kräftig genug raus ins Beet gesetzt werden konnten.
Pädagogischer Lerneffekt: Gartenarbeit macht dreckig und glücklich
Nachdem beim Einpflanzen zunächst die Äußerung „Das ist ja dreckig“ mit Hilfe von Gartengeräten und Gartenhandschuhen überwunden werden konnte, entwickelte sich die Auseinandersetzung mit dem Element Erde und ihren tierischen Bewohnern. So manches „Iiiih“ im Bezug auf Würmer wurde zum „Guck mal ein Regenwurm, den setze ich ins Hochbeet, da kann er den Boden auflockern.“ Als die Bepflanzung längst abgeschlossen war, wühlte ein Kind mit bloßen Händen in der Erde. Auf die Frage „Warum?“ erklärte es, dass es sich „soooo gut“ anfühle. Erneut ein Erfahrungshorizont, der sich erweitert hatte.
Nun ging es ans Pflegen. Ein Jugendlicher fühlte sich besonders in den Sommermonaten verantwortlich für die Pflanzen im Hochbeet. Die Verantwortung erstreckte sich so weit, dass er das Team erinnerte die Pflanzen zu gießen, wenn er in den Urlaub fuhr. Regelmäßig, wenn die Gießkanne mit Wasser gefüllt wurde, standen weitere Kinder und Jugendliche am Hochbeet parat um zu fragen „Darf ich auch mal?“ Das Aushandeln, wer welchen Abschnitt gießen durfte, fiel glücklicherweise immer friedlich aus.
Im Spätsommer bis Herbst war es dann soweit. Die bereits sehnsüchtig erwartete Ernte fiel an. Der Lieblingspart der Kinder und Jugendlichen sowie des Trafixx-Teams. Statt Unmengen an Snacks und Süßigkeiten standen nun verschiedene Gemüsesorten auf dem Snackplan: Tomaten und Gurken waren sehr beliebt. Durch das sorgfältige Gießen und Pflegen hatten wir davon reichlich. Auch Mais war gewachsen, der in einer Kochaktion alle beteiligten Jugendlichen satt machte und mundete. Unsere Arbeit hatte sich gelohnt, die Saat war aufgegangen. Die im Beet und in den Köpfen.