Die prominent besetzte Band Swans spielte im Februar ein exklusives Konzert in der Hansa 39 im Feierwerk und begeisterte mit einem brachialen Sound-Erlebnis ihre Fans. Was man bei dieser Band nicht erwarten kann, ist ein Social-Media-Posting-wĂŒrdiger Auftritt. Die meisten Handys bleiben aus. Und das ist auch gut so!
Swans: Lauter Sound statt fancy Handy-Videos
âDich interessiert doch nicht, was du erlebst; nur das, was du davon erzĂ€hlen kannstâ, heiĂt es in dem 1992 auf dem Album âIch-Maschineâ veröffentlichten Song âAus den KriegstagebĂŒchernâ der Hamburger Rockband Blumfeld. Mittlerweile, da das Mobiltelefon mit all seinen zusĂ€tzlichen technischen Möglichkeiten das gesellschaftliche Miteinander seit jenem DebĂŒt-Album von Blumfeld verĂ€ndert hat, mĂŒsste der Satz heiĂen: âDich interessiert doch nicht, was du erlebst; nur das, was du dann posten kannstâ.
Darum wird fleiĂig Bildmaterial gesammelt und auf Konzerten alle Handys angeschaltet, kaum, dass das Saallicht aus ist. Netter Nebeneffekt: Wem groĂe Menschen die Sicht auf die BĂŒhne versperren, braucht nur auf die Monitore der hochgehaltenen Handys zu blicken. Blöd nur, dass man ja selbst vom Jagd- und Sammelfieber ergriffen ist und möglichst jeden Augenblick des Konzerts festhalten möchte. NatĂŒrlich kann das auch nerven. Vor allem, wenn man einen Augenblick lang nicht selbst zu den Sammler*innen und JĂ€ger*innen zĂ€hlt, sondern einfach nur der Musik lauschen mag.
Umso angenehmer empfand ich darum das Publikum des ausverkauften Swans-Konzerts im Feierwerk. Das machte nĂ€mlich ĂŒberhaupt keine Anstalten, irgendetwas dokumentieren zu wollen. Was denn auch? Jahrzehntelange Fan-Erfahrungen hatten dieses Publikum darauf vorbereitet, dass wĂ€hrend eines Swans-Konzerts ohnehin nichts passiert, was es zu posten lohnt. Ausschnitte aus einem Swans-Konzert vorzuspielen, ist schlieĂlich genauso spannend, wie einer Waschmaschine beim Schleudern zuzuhören. Womit ich nichts gegen Waschmaschinen gesagt haben will. Forscher*innen wollen sogar festgestellt haben, dass gerade die tiefen KlĂ€nge einer Waschmaschine beruhigend auf Menschen wirken, weil sie dem prĂ€natalen Klangerleben der Welt entsprĂ€chen. So gesehen war das Brutkasten-Rot, mit der das Swans-Konzert dauerhaft ausgeleuchtet wurde, treffend gewĂ€hlt.
Brummender Akkord und immer noch kein Handy
TatsĂ€chlich beleuchtete das aber nicht nur das BĂŒhnengeschehen, wenn man hier ĂŒberhaupt von einem Geschehen reden mag. Im Grunde ist es ja mehr eine bloĂe BĂŒhnenexistenz jenseits des Zuschauer*innen-Raums. Auch, wenn es im Zuschauer*innen-Raum wahrlich nicht lebendiger zugeht. Trotzdem wird auch er, wie ĂŒberhaupt die gesamte Hansa 39 von jenem satten Brutkasten-Rot permanent beleuchtet. Angeblich, damit der Frontmann der Swans, Michael Gira, sehen kann, was im Publikum passiert. Als hĂ€tten seine Songs nicht schon zu GenĂŒge bewiesen, dass Gira am liebsten ins Nichts starrt. In jenes Nichts wohlgemerkt, dass der Philosoph Martin Heidegger in âSein und Zeitâ auch mal als ein Nicht-sein beschrieben hat, das eben nicht ânicht seinâ meint.
Solchen Assoziationen folgend stehe ich also im Swans-Konzert in der Hansa 39 und ĂŒberlege, warum ĂŒberhaupt etwas ist und nicht noch mehr nichts. Gira spielt solche Gedanken untermauernd zunĂ€chst auch nur einen und denselben Akkord auf seiner Gitarre, wieder und wieder und wieder schlĂ€gt er diesen Akkord an. Irgendwann steigt die restliche Band ein, ohne freilich jenen mittlerweile bewĂ€hrten Akkord allzu sehr zu verĂ€ndern. Wobei der Akkord sich strenggenommen auch gar nicht mehr wiederholt. Stattdessen steht er jetzt dauerhaft nachhallend im Raum und brummt. Wozu sollte man das auch dokumentieren, ĂŒberlege ich noch, weil mir auffĂ€llt, dass ja tatsĂ€chlich niemand hier ein Handy zĂŒckt, um die schönsten Momente dieser Klang gewordenen Ewigkeit einzufangen. Stattdessen genieĂt man schweigend stehend die gute Akustik in der Hansa 39 dank einer gut genutzten, wenngleich auch sehr sehr lauten Veranstaltungstechnik.
Larry Mullins, Phil Puleo, Kristof Hahn: Rock-Prominenz gibt sich die Ehre
Kenner*innen der Szenen freuen sich zudem noch darĂŒber, wie prominent die Band besetzt ist, die sich hier geradezu hörig dem Diktat des Frontmanns Michael Gira unterzuordnen scheint. Larry Mullins zum Beispiel an den Keyboards, der auch bei „Nick Cave And The Bad Seeds“ mitwirkt. Oder der Schlagzeuger Phil Puleo, der von vielen auch als GrĂŒnder der Noise-Rockband „Cop Shoot Cop“ verehrt wird. Kristof Hahn, der hier die Lap-Steel Guitar bedient, hat gleich in einer ganzen Reihe von Kultbands mitgewirkt, sei es bei „Pere Ubu“ oder den „Koolkings“, die dereinst mit Alex Chilton ein Album eingespielt hatten. Wohl auch, weil sie mit Hahn in einer weiteren Band zusammenspielen, stehen im Publikum Tim JĂŒrgens (Superpunk; Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen) und Markus Naegele (Don Marco & Die kleine Freiheit). Und weil sich Prominenz gerne zur Prominenz gesellt, ist auch der Hamburger Veranstalter und Label-Betreiber RĂŒdiger Ladwig zugegen, dem ich persönlich vor allem fĂŒr die Vinyl-Ausgabe aller Alben von Nils Koppruchs Fink ewig dankbar sein werde.
TatsĂ€chlich gilt mein Augenmerk allerdings der Pedal-Steel-Gitarristin Dana Schechter von „Insect Ark“, die ab und zu auch den Bassisten Chris Pravdica auf einem weiteren E-Bass unterstĂŒtzt. Ein Tag zuvor auf dem Konzert in Italien, hatte man diese groĂartige Frau hinter all den MĂ€nnern auf der BĂŒhne gar nicht sehen können. Der Umstand, dass man in der Hansa 39 aber auch von der Seite auf die BĂŒhne blicken kann, rĂŒckte sie indes sogar in den Vordergrund, so man das Konzert eben von jener Seite beĂ€ugte. Zumal ich persönlich ihr Musizieren hier am spannendsten empfand, hĂ€tte ich also das ganze Konzert ĂŒber seitlich der BĂŒhne stehen können, um der Musikerin auf die Finger zu blicken.
Fotos nur unter Gewaltandrohung des Hohepriesters
Allerdings hĂ€tte ich dann kein Foto fĂŒr diesen Blog gehabt, das den Frontmann von vorne zeigt. Dabei hĂ€tte es einige schöne Motive gegeben, wie er manchmal so hohenpriester- und schamanenartig gestikuliert wĂ€hrend seines Gesangs. Als stĂŒnde er jetzt auch noch physisch im Kontakt mit dem Jenseits, hebt er seine HĂ€nde zum Himmel. 70 Jahre alt war Gira eine Woche zuvor geworden. Heute macht er nicht den Eindruck, als wenn er noch sehr viel lĂ€nger auf dieser Erde wandeln möchte. Vor allem aber macht er nicht den Eindruck, als wĂŒrde es ihn erfreuen, wie ich nunmehr versuche, sein Antlitz auf Foto zu bannen.
WĂ€hrend sich seine Fans nĂ€mlich erkennbar genervt zeigen, dass ich hier ein paar Bilder fĂŒr diesen Blog machen möchte, signalisiert mir Gira sogar, dass er durchaus auch zur Gewalt bereit sei, wenn ich ihn weiter fotografieren wĂŒrde. GlĂŒcklicherweise hat mir die Kollegin dafĂŒr ein BĂ€ndchen zukommen lassen, das mich fĂŒr alle gut sichtbar als legitimierten Fotografen zu erkennen gibt. âIch darf hier fotografieren, Herr Giraâ, brĂŒllt mein BĂ€ndchen also dem fotoscheuen SĂ€nger entgegen, als ich es wegen der Anfeindungen demonstrativ hochhalte. Dem SĂ€nger scheint das aber schnuppe zu sein. Stattdessen zieht er mit seinem Daumennagel so ĂŒber die eigene Kehle, als wollte er mir mitteilen, dass ich beim nĂ€chsten Bild schon vor ihm ins ewige Nichts eintauchen wĂŒrde.
Fazit: Der ewige und berĂŒhrende Schleudergang
Nun könnte mir solche Drohung eigentlich egal sein. Wer in einem Swans-Konzert steht, braucht das Nichts nicht zu fĂŒrchten. Wie aber wĂŒrde das auf die vielen Fans wirken, wenn wegen eines weiteren Fotos womöglich das Konzert abgebrochen wĂŒrde? DemĂŒtig begebe ich mich also nach hinten zum GetrĂ€nkeausschank, wo prominente GĂ€ste gerade neue Projekte besprechen. Dort erzĂ€hle ich dem Kollegen Konrad, warum ich lieber keine weiteren Fotos mehr mache. Nicht, dass ich am Ende schuld bin, wenn die das Konzert abbrechen. Keine Ahnung, ob Konny nun eine Chance sah, hier frĂŒher rauszukommen, oder ob er, was ich eher glaube, mir nur helfen wollte. Auf jeden Fall zĂŒckt er nun seine als Mobiltelefon getarnte Kamera und schieĂt ein weiteres Foto.
Das Konzert wird nicht abgebrochen. Und nach dem Konzert sind die Musiker*innen sogar super freundlich zu mir. Das KĂŒnstlerische verbindet uns doch sehr. Und ja, sage ich, das Konzert hat mich doch sehr berĂŒhrt. Einfach groĂartig. Und plötzlich merke ich, dass das sogar stimmt. Das Konzert war wirklich groĂartig. Es ist halt nur sehr schwer zu beschreiben, warum. Zuhause setze ich mich erst einmal mit einer Flasche Bier vor die Waschmaschine und schalte den Schleudergang ein.