In wenigen Monaten heiĂt es in MĂŒnchen wieder: auf zur Kommunalwahl. Am 15. MĂ€rz 2020 wĂ€hlen die MĂŒnchner*innen einen neuen Stadtrat, neue BezirksausschĂŒsse und einen neuen OberbĂŒrgermeister. WĂ€hrend die meisten in meinem privaten Umfeld damit vor allem als WĂ€hler*innen zu tun haben, gibt es bei uns im Feierwerk auch eine Stelle, die sich beruflich intensiv mit der Politik in unserer Stadt auseinandersetzt und dessen Workload im Zuge des Wahlkampfs nochmal erheblich steigt: die firm â Fachinformationsstelle Rechtsextremismus MĂŒnchen. Ich habe Marcus und Damian in ihrem BĂŒro besucht und mit ihnen ĂŒber die Wahl und ihren Arbeitsalltag gesprochen.
Arbeiten bei der firm – das bedeutet Recherchieren und Informieren
âDer Arbeitsalltag beinhaltet in jedem Fall eigentlich immer, dass man online recherchiert, dass man schaut, was machen gerade relevante Akteur*innen, dazu gehört auch eine Presserecherche sowohl online wie offlineâ, erzĂ€hlt Damian. âUnd dann kommt das dazu, was sich gerade an aktuellen Aufgaben bietet. Also ob es zum Beispiel darum geht, Infos zu bestimmten Akteur*innen zusammenzufassen, weil die jetzt gerade eine Veranstaltung oder Demonstration planen und es dann darum geht, zu kommunizieren, um wen es sich da handelt, um Leute zu informieren. Aber auch, um ein bestimmtes Vortragsangebot zusammenzustellen, wenn sich beispielsweise ein Akteur in der Stadtgesellschaft informieren möchte, was jetzt grade im Bereich der extremen Rechten in MĂŒnchen los ist. Generell geht es immer darum, Informationen zu sammeln und diese dann aufzubereiten, um sie weiterzugeben – in Form von FlugblĂ€ttern, VortrĂ€gen oder Artikeln.â
Informationen sammeln und zur VerfĂŒgung stellen â das ist einer der Schwerpunkte der firm, den sie als Mitglied des sogenannten kommunalen Netzwerks leistet. Dieses Netzwerk umfasst Anlaufstellen gegen Rechtsextremismus, Rassismus, religiöse Radikalisierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in MĂŒnchen. Neben der firm sind die Fachstelle fĂŒr Demokratie â als Koordinierungsstelle direkt dem OberbĂŒrgermeister in der Verwaltung unterstellt â, BEFORE (Beratungsstelle fĂŒr Betroffene bei Diskriminierung, Rassismus und rechter Gewalt), der Bereich politische Bildung beim Stadtjugendamt, das Netzwerk Demokratische Bildung, das Bildungskollektiv âDie Pastinakenâ, die Fachstelle Demokratische Jugendbildung beim Kreisjugendring und die UFUQ als Fachstelle zur PrĂ€vention von religiös begrĂŒndeter Radikalisierung in Bayern mit dabei.
âWir haben einen relativ engmaschigen arbeitsteiligen Ansatzâ, erzĂ€hlt mir Damian weiter. âAlle Akteur*innen innerhalb des Netzwerks beschĂ€ftigen sich mit dem Thema von einer anderen Seite. FĂŒr uns als firm geht es darum, ĂŒberhaupt eine informationelle Grundlage zu liefern, auf derer dann etwa BĂŒndnisse wie âMĂŒnchen ist Buntâ Mobilisierung betreiben können. Oder sich Bildner*innen dann ĂŒberlegen können, was in der Bildung – schulisch wie auch auĂerschulisch – passende Antworten darauf sind, was die extreme Rechte gerade an Akteur*innen, an Themen, an Aktionsformen oder was auch immer aufbietet.â
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des kommunalen Netzwerks ist die Stadtteilarbeit. Seit 2013 haben alle 25 BezirksausschĂŒsse die Möglichkeit, einen oder mehrere Beauftragte gegen Rechtsextremismus zu benennen. âDamit gibt es ein wichtiges Bindeglied zwischen der Fachstelle im Rathaus und uns, wo einfach viel an Informationen lĂ€uft: was tut sich im Stadtteil?â, erklĂ€rt Damian. âWomit wir auch wieder bei unseren Aufgaben wĂ€ren: Wir schauen, das sich keine Treffpunkte entwickeln in den Stadtteilen, oder wenn, dass man rechtzeitig davon erfĂ€hrt und ggf. vor Ort dann auch intervenieren kann. Also beispielsweise, wenn eine GaststĂ€tte regelmĂ€Ăig zum Veranstaltungsort einer extrem rechten Organisation wird, dann kann man versuchen, herauszufinden, ob der Wirt oder die Wirtin das bewusst annimmt, oder keine Ahnung hat, wer da im Nebenzimmer tagt. Und hierbei sind die BA-Beauftragten wie gesagt die wichtige Verbindung zu den Stadtteilen.â
Vor Wahlen gibt es bei der firm immer viel zu tun
Wie sieht es nun konkret vor der Wahl aus â hat die firm da mehr zu tun? âJa, es erhöht sich in allem die Schlagzahlâ, erzĂ€hlt Damian. âEs erhöht sich die Schlagzahl in den Veranstaltungen, die Akteur*innen abhalten, die ja dann hier auch öffentlich prĂ€sent sein wollen, Und natĂŒrlich verĂ€ndert sich auch der Bedarf von Akteur*innen, die sich jetzt darĂŒber Gedanken machen mĂŒssen, was passiert, wenn die extreme Rechte hier noch einmal eine völlig andere, kommunale parlamentarische Verankerung hat? Denn es bedeutet eben auch, dass viele Initiativen und Projekte noch stĂ€rker in den Fokus der entsprechenden Parteien und Organisationen kommen, in Form von Angriffen auf ihre Arbeit. Seien es jetzt kulturelle oder Bildungseinrichtungen, sei es eine Einrichtung wie wir hier, oder auch das Fachnetzwerk insgesamt – da wird man dann als politischer Gegner angegangen. Das bringt natĂŒrlich fĂŒr uns entsprechendes Arbeitsaufkommen mit sich.â âDie Kommunalwahl ist ein bisschen so wie der DFB-Pokal, hat seine eigenen Gesetzeâ, wirft Marcus, Leiter der firm, ein. âDas Ergebnis ist unheimlich schwer vorauszusehen und oftmals wider den eigenen EinschĂ€tzungen.â
Marcus hat sich Ende der 70er auf dem Gymnasium politisiert â der Kampf gegen die extreme Rechte war dabei immer einer seiner Schwerpunkte. âSchlĂŒsselerlebnis war das Oktoberfestattentat, wo ich an dem Abend drauĂen war und mich danach mit dem Thema beschĂ€ftigt habeâ, erzĂ€hlt er mir. 1990 war er bei der GrĂŒndung des Vereins âa.i.d.a.â mit dabei â seitdem sammelt die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle MĂŒnchen Material zu Themenbereichen wie Nationalismus und Rassismus, extrem rechte Gruppierungen und einiges mehr. âDiese Arbeitsbibliothek hier kann nicht nur von uns, sondern auch von Menschen genutzt werden, die selbst Veranstaltungen vorbereiten, wissenschaftliche Arbeiten schreiben, fĂŒr Artikel recherchieren o.Ă€.â, erzĂ€hlt Marcus. âDie Sachen sind nicht ausleihbar, aber es gibt einen Kopierer/Scanner und es gibt uns, die Fragen beantworten können.â Seine Motivation fĂŒr seine langjĂ€hrige Arbeit gegen die extreme Rechte begrĂŒndet Marcus mit der Tatsache, âdass ich es â ganz platt gesagt â einfach nicht ertrage, dass es im 21. Jahrhundert immer noch Menschen gibt, die eine solche Ideologie vertreten.â Dem kann sich Damian nur anschlieĂen: âIch glaube, dass das, was wir momentan erleben, eine ganz strukturelle Gefahr fĂŒr diese Gesellschaft ist. Und in der Auseinandersetzung damit, was machen zu können, das ist eine starke Motivation fĂŒr mich.â
Die MĂŒnchen Chronik von firm, BEFORE und a.i.d.a.
Eines der Ergebnisse dieser Motivation der firm â gemeinsam mit BEFORE und a.i.d.a. â ist die MĂŒnchen Chronik, die es seit Dezember 2017 gibt. âDie MĂŒnchen Chronik versucht, die verschiedenen Perspektiven zusammen zu fĂŒhrenâ, erklĂ€rt Damian. âEinmal die Perspektive, die wir haben, die natĂŒrlich sehr Akteurs- und Ideologie-zentriert ist, und dann die Perspektive der Betroffenen. Die Idee dahinter ist natĂŒrlich schon selbstredend, vor allem mit Blick darauf, was wir 2011 mit der Selbstenttarnung der NSU gemerkt haben; dass die Perspektive sehr begrenzt ist, wenn sie nicht den betroffenen Blickwinkel mit einrechnet. Diesen toten Winkel gilt es in der MĂŒnchen Chronik aufzuzeigen â sie gibt einen Ăberblick ĂŒber rechte AktivitĂ€ten, rechte Angriffe und Diskriminierung im Raum MĂŒnchen.â Wer also selbst diskriminierende VorfĂ€lle erlebt, hat hier die Möglichkeit, diese zu melden.
Neben all diesen Dingen beschĂ€ftigt sich die firm auch mit rechten Gruppierungen aus dem migrantischen Kontext. âLetztendlich ist es ja relativ egal, aus welcher Ecke der Mist kommt. Und wenn wir uns als Gesamtstadtgesellschaft begreifen, mĂŒssen wir da ohne Unterschiede hingucken, wo es wehtutâ, sagt Marcus.
Die firm existiert seit dem Jahre 2009, also seit mittlerweile 10 Jahren. Arbeitsgrundlage der Fachstelle ist ein Beschluss des MĂŒnchner Stadtrats im Dezember 2008, in dem es darum ging, die Arbeit gegen Rechtsextremismus zu stĂ€rken.