Team Feierwerk

Von Idomeni ins Feierwerk – eine ganz besondere Rage-Geschichte

Auch in diesem Jahr war das Rage Against Abschiebung am 02. Oktober im Feierwerk mit mehr als 700 Besuchern ein voller Erfolg! Unter dem Motto “Heimathafen statt Ankerzentren” organisierte der Bayerische Flüchtlingsrat (BFR) das größte, regelmäßig stattfindende, anti-rassistische Benefiz-Bandfestival im süddeutschen Raum bereits zum 17. Mal. Alle am Festival beteiligten Helfer*innen arbeiten ehrenamtlich und die Bands und DJs verzichten auf ihre Gage, damit der volle Erlös direkt in die Flüchtlingshilfe fließen kann.

“Wir haben dieses Jahr vor dem Eingang eine ‘Messe der agressiven Anti-Abschiebeindustrie‘ aufgebaut”, erzählt Agnes vom BFR. “Acht Gruppen haben mitgemacht und in den Pavillons unterschiedliche Aktionen angeboten, das war richtig toll!” Idee dieser Messe war es, den Besucher*innen des Festivals zu all den komplexen Themen rund um Abschiebung und die Politik der Abschottung einen interaktiven Zugang zu ermöglichen. “Und das hat wirklich gut funktioniert: Bei mixmuc konnte man Brücken bauen, bei Alarmphone Notrufe absetzen und vieles mehr”, berichtet Agnes weiter. Pro Aktion gab es einen Stempel und sobald die Besucher*innen alle acht Stationen durchlaufen hatten, konnten sie sich drinnen beim Stand des Flüchtlingsrats ein Zertifikat abholen. Dort gab es auch ein cooles Tattoo mit einem Anker, und der Anker selbst war sogar als menschliches Maskottchen auf dem Festival-Gelände unterwegs.

Beim Rage vor Ort war in diesem Jahr auch wieder Paulina, 23 Jahre alt. Sie ist nicht nur Mitarbeiterin im Feierwerk, sondern engagiert sich seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe. Und sie hat uns von ihrer ganz eigenen, besonderen Rage-Geschichte erzählt:

“Gemeinsam mit anderen Freund*innen war ich im Frühling 2016 in Idomeni, einem Camp mit zehntausenden Geflüchteten an der griechisch-mazedonischen Grenze, um dort Freiwilligenarbeit zu leisten. Dort habe ich Yusef (Name von der Redaktion geändert) kennen gelernt. Damals war er gerade erst 14 geworden und schon seit einem Jahr auf der Flucht, nun alleine mit einem kleinen Rucksack bepackt gestrandet, denn: ein paar Wochen zuvor begannen die ersten europäischen Staaten ihre Grenzen für Migrant*innen zu schließen. So lebte er also seit geraumer Zeit im Grenzgebiet.

Weder sprach ich ein Wort arabisch, noch er ein Wort Englisch oder Deutsch – und dennoch verstanden wir uns von Anfang an. Drei Wochen lebten wir zusammen zwischen Schlamm und Regen und es war, als würden wir uns immer schon kennen. Wir spielten zusammen Fußball, räumten die Zelte auf, kommunizierten mit Händen und Füßen und lachten viel und weinten manchmal. Umso schlimmer war der Tag, an dem ich mit meinem deutschen Pass ohne Probleme wieder in Thessaloniki in den Flieger steigen konnte. Ihn musste ich alleine zurück lassen. Ich erinnere mich kaum an einen Tag in meinem Leben, an dem ich so traurig gewesen bin. Wie unfair das war: Ich wieder im geregelten Uni-Alltag und er, dieser kleine Junge, der einfach nur das Pech hatte, zur falschen Zeit im falschen Land zu leben, noch immer in Idomeni, im nassen Zelt und ohne Bezugsperson.

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Seine Zeit nach Idomeni war ebenfalls anders, als meine hier im warmen Deutschland: Er wurde beim Versuch weiter Richtung Westen zu laufen von mazedonischen und ungarischen Grenzpolizisten geschlagen, verlor einen Freund, der bei einer Flussüberquerung ertrunken ist, schlug sich Nächte in europäischen Wäldern um die Ohren, bis er es irgendwann nach Deutschland schaffte. Und trotz alledem: inzwischen geht Yusef auf die Realschule in die achte Klasse, spricht fließend Deutsch und besucht mich regelmäßig in seinen Schulferien. Er gehört zu den guten Schüler*innen in seiner Klasse, motiviert seine deutschen Mitschüler*innen und möchte später einmal Arzt werden.

Am 2.10.2018 war er nun also mit mir auf dem Rage Against Abschiebung im Feierwerk – was für ein Wunder: Wir konnten zusammen vegane Falafel essen, tanzen, Freund*innen treffen, uns mit anderen Geflüchteten unterhalten und es uns einfach gut gehen lassen. Noch vor drei Jahren lebte Yusef nämlich im Osten Syriens, in einer Stadt, die über zwei Jahre unter Besatzung des sogenannten Islamischen Staats stand. Das bedeutete für ihn nämlich: weder tanzen, noch Spaß mit Freund*innen, noch sonst irgendetwas tun, was dem Menschen gut tut. Auch lernen durfte er nicht. Das einzige, was er lesen durfte, waren die Schriften des Koran. Den einzigen, den er auf einer Bühne bewundern sollte, war der selbsternannte religiöse Anführer der Stadt. Aber dieses Wochenende war das beim Rage: Bird Berlin, der mit seiner bunten Glitzershow die Leute zum Strahlen brachte; Haszcara, die als feministische Rapperin jeden Typen in den Schatten stellt; Pöbel MC, der gegen eine rassistische Welt voller Grenzen und Abschottung rappt; oder Fräulein Brecheisen, deren Songs einem noch am nächsten Tag einen Ohrwurm bereiten.

Wie schön, dass uns dieser Besuch beim Rage Against Abschiebung zusammen gegönnt war! Und wie schön es wäre, wenn Kinder und alle anderen überall auf der Welt zusammen tanzen würden, anstatt genötigt zu sein, ihre Heimat zu verlassen. Oder dann, wenn sie sich endlich in einem Land sicher und zuhause fühlen, aus diesem abgeschoben werden.

Wir freuen uns jetzt schon wieder auf das nächste Jahr! Und dann hoffentlich mit noch mehr Happy Ends in den Geschichten von anderen Personen, die vertrieben wurden. Für den sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan! Für ein solidarisches und offenes Miteinander!”

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Vielen Dank, liebe Paulina, für diese schöne Geschichte. Und ich kann mich nur anschließen: Ich freue mich auch schon wieder sehr aufs nächste Jahr!

Julia Irländer war lange Zeit Mitarbeiterin in der Feierwerk Öffentlichkeitsarbeit und hat im Sommer 2023 in die pädagogische Praxis ins Mobile Vorlaufprojekt nach Freiham gewechselt. Sie studiert berufsbegleitend Soziale Arbeit, ist Mama von drei Kindern und zwei Katzen, fährt am liebsten mit dem Radl und hat dabei Punkrock auf den Ohren.

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