Musik

Laut sein für Geflüchtete: Das war das “Rage against Abschiebung” 2023

Wenn auf einem Festival vier von zwölf Bands ausfallen, ist dies normalerweise der Moment, an dem Veranstalter*innen wahlweise Kerzen nach Altötting oder Beruhigungsmittel aus Apotheken schleppen. Die Veranstalter*innen des „Rage against Abschiebung“ nehmen eine solche Hiobs-Botschaft am 2. Oktober indes gelassen: „Dann beginnen wir mit dem Programm halt ein bisschen später und lassen die Bands ein wenig länger spielen“, war eine Lösung des Problems. Zudem wurde noch eine weitere Band, nämlich „Schnee im August“, kurzfristig hinzugeladen.

Solidaritätsfestival für mehr Sichtbarkeit

Seit 1996 veranstalten engagierte Menschen schließlich das mittlerweile jährlich stattfindende Soli-Festival, dessen Reinerlös der konkreten Flüchtlingsarbeit zugutekommt. Dafür hatten sie früher auch schon mal prominente Headlinder für die gute Sache gewinnen können: So lockten zum Beispiel „die goldenen Zitronen“, „die Sterne“ oder „Stereo Total“ ein zahlungswilliges Publikum aufs Festival, wo es sodann auch noch über die Situation von flüchtigen Menschen informiert wurde, sowie über Organisationen, die sich für die Interessen von Geflüchteten einsetzen. Denn, so hatte es Schorsch Kamerun, der Sänger der Goldenen Zitronen, auch schon einmal postuliert: „Der Erfolg einer solchen Benefiz-Veranstaltung lässt sich ja nicht nur daran messen, wieviel Geld daraus letztlich für den genannten Zweck gewonnen wird. Die Benefiz-Veranstaltung leistet auch eine Öffentlichkeitsarbeit für die Sache, für die sie kämpft.“  Dabei geschieht solche Öffentlichkeitsarbeit in den verschiedenen Veranstaltungshinweisen auf mehreren Plattformen ebenso wie an den Info-Tischen auf dem Festival selbst.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Feierwerk München (@feierwerk_)

Vor allem aber, und das haben die Veranstalter*innen des Rage Against Abschiebung über all die vielen Jahre seiner Existenz gelernt, ist ein solches Soli-Fest auch ein wunderbares Treffen von Gleichgesinnten und Mitstreiter*innen, das man sich schon lange nicht mehr vom Ausfall der einen oder anderen Band vermiesen lässt. Hätte man vor allem die vielen Gesprächsgruppen außerhalb der eigentlichen Konzerträume Kranhalle und Hansa 39 am Festivalabend nach dem Programm befragt, hätten einige eifrig Diskutierende wahrscheinlich gar nicht gewusst, wer überhaupt auftritt.

Botschafter*innen für Geflüchtete

Dabei wurde das Festival schon mit einem ganz großen Act eröffnet: die in München lebende Aktivistin und Rapperin Gündalein bewies zusammen mit dem deutsch-amerikanischen Rapper und Veranstalter ESC Rilla, dass Hiphop dort am stärksten wirkt, wo es ohne Konkurrenz-Attitüden ein gleichberechtigtes Miteinander zelebriert. Damit glich ihr Auftritt in der Kranhalle exakt der besseren Gesellschaft, für die ihre Auftritte letztlich auch werben. Gleichzeitig näherten sich in der Konzerthalle nebenan, in der Hansa 39 also Musiker:innen solcher besseren Gesellschaft von einer Punk-ambitionierten Seite.

Hat es zum Beispiel seit Pat Benatar je eine bessere Version ihres Hits „Love Is A Battlefield“ gegeben, als die, die die Novichoks mehrstimmig in eine Kampfansage ganz im Sinne des Rage Against Abschiebung zu formulieren wussten: „We are strong!“? Und machte die rein weiblich gelesene Band FAB, die ihren Sound selbst als Feminist Glam Synthie-Punk beschreibt, nicht eine Stimmung, als würden alte Punk-Ikonen von ihren Fans abgefeiert werden? „Wir haben uns als Band gegründet, weil uns die Punkszene zu männlich dominiert ist“, sagt die Münchner Band, die bislang darauf verzichtet, ihre einzelnen Mitspielerinnen namentlich zu benennen. Immerhin lobte Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat die Band FAB bereits als „beste Band des Abends“ aus. Ihre Euphorie war dabei allerdings auch genährt vom Umstand, dass sie die Musikerinnen zudem als Aktivistinnen des Flüchtlingsrats, von „Kein Mensch ist illegal“, und von anderen Kampagnen kennt.

Diverses Programm in Kranhalle und Hansa 39

Und einmal abgesehen davon, dass gleichzeitig in der Kranhalle andere „beste Bands des Abends“ für gute Stimmung sorgten, war in der Hansa 39 irgendwann dann die Formation Uschi um die Schlagzeugerin Sophie Neudecker und der Bassistin Charlotte Scheidegger die eindeutig beste Band des Jahrhunderts. Zumindest diesen einen Abend lang nämlich stellte das Kollektiv von „Musiker*innen, die alle dieses Pseudonym verkörpern“, wie es in der Bandbeschreibung heißt, selbst Legenden wie die US-amerikanischen Wegbereiter Sonic Youth in den Schatten. Von einem Gitarristen und Sänger begleitet machte Uschi nämlich auch eines klar: Sonic Youth hatte einfach zu wenig Frauen in der Band, um weiter cool zu sein!

Dergleichen kann man den Veranstalter:innen vom Rage Against Abschiebung zum Glück nicht vorwerfen. Entsprechend divers liest sich auch deren Programm. Bewusst ohne Nennung der betreffenden Band möchte ich mich als Dirk ganz persönlich dann allerdings doch ein wenig darüber wundern, warum auf einem solch progressiven, weltoffenen Festival auch einmal die Songzeile „All Cops Are Bastards“ von den anwesenden Zuschauer:innen gefeiert wurde. Einmal abgesehen davon nämlich, dass in einem Rechtsstaat wie in der Bundesrepublik Deutschland die Polizei nicht per se negativ konnotiert sein muss, störe ich mich besonders an den Gebrauch des scheußlichen Ausdrucks „Bastard“. Wie würde dieser Ausdruck uns anspringen, wenn er von einer rechtspopulistischen Band gesungen würde? Und warum sollte er dann, im anderen Kontext vorgetragen, okay sein? Ich finde nämlich, dass gerade in einer Zeit, wo weltweit ein Rechtsruck die Gesellschaft bedroht, es umso wichtiger ist, dass wir ebenso wie Gündalein im Konzert ein besseres Miteinander nicht nur fordern, sondern auch konsequent leben.

Hier könnt ihr nachlesen, wie das Rage against Abschiebung 2019 war und einen Hintergrundbericht des Festivals 2018.

Dirk Wagners Lieblingsfarbe ist bunt und seine Welt ist Klang. Und genau darum zählt der passionierte Konzertgänger auch das Feierwerk zu seinen Liebelingsorten in seinem Lieblingsort München. Weil das Feierwerk aber nicht nur Konzertbühne, Ausstellung und Vortragsraum ist, sondern auch Kinder- und Jugendeinrichtungen in München betreibt, konnte der Stammgast Dirk endlich auch Mitglied der Feierwerk-Familie werden: als Medienpädagoge arbeitet er nämlich seit Juni 2021 in der vom Feierwerk betriebenen Kinder- und Jugendeinrichtung Trafixx. Wobei, Familienmitglied des Feierwerks war er ja eigentlich schon immer irgendwie…

Write A Comment

Feierwerk
Babel FM
Kurzwelle
Südpolshow
Nahaufnahme Podcast
dreijahrewach Podcast