Kulturszene

So wurden die „Munich Blues“-Sessions zur Publikumsveranstaltung

Ein derartiger Treffpunkt hatte gefehlt in der Stadt! Im Juli 1986 traf sich eine kleine Runde MĂŒnchner Musiker*innen erstmals im Feierwerk und jamte drauflos. Anfangs scharten sich 20 – 30 Leute aus der MĂŒnchner Blues-Szene um einen TrĂ€ger Bier, ein paar mitgebrachte VerstĂ€rker und ein per Hut finanziertes Secondhand-Drumset, bis die Veranstaltungen irgendwann zu regelmĂ€ĂŸigen „Munich Blues“-Sessions mit Publikum wurden.

Zu den Sessions kamen in erster Linie Non-Professionals und Nebenerwerbs-Musiker*innen, die eher am traditionellen Blues (City-Blues, Rhythm ’n‘ Blues, etc. aber auch Soul und Jazz), als am Blues-Rock orientiert waren. Schnell und stetig wurde der Kreis grĂ¶ĂŸer. Im Januar 1988 wurde die TĂŒr auch fĂŒr das interessierte Publikum aufgemacht. Eigens fĂŒr die Leitung der Sessions zusammengestellte Combos aus Mitgliedern der bei „Munich Blues“ vertretenen Bands und das „Call“-Prinzip gaben den Abenden die fĂŒr eine Publikumsveranstaltung unabdingbare Struktur. Das machte die „Munich Blues“-Sessions lustig, spannend und richtig gut. Mitte der 1990er Jahre trafen sich hier an jedem ersten Montag im Monat bis zu 400 GĂ€ste und Musiker*innen. Die kamen zunehmend auch aus dem weiteren Umland, u.a. D.D Blues, Rodney Harley, Ron Evans und andere tolle Musiker*innen aus dem „Village“. Im „Home of the Blues“ in Habach steht ĂŒbrigens heute noch an jedem Donnerstag die Jam Session auf dem Programm.
Ferner wurden Festivals und ein Austausch mit Bands aus anderen Regionen organisiert. Mit dem „Munich Blues e.V.“ versuchte eine kleine Gruppe Fans und Musiker*innen den Aufbau einer Initiative, die u.a. ein eigenes Fanzine produzierte. Die 1988 erschienene LP „Munich Blues Sunrise“ markierte den Anfang einer Reihe von Feierwerk produzierter „Szene-Sampler“.

Der AufhÀnger: Auftrittsmöglichkeiten

Der Projekttitel „Munich Blues“ bezieht sich auf den Songs „New York Blues“ von Louisiana Red: „New York City – ’s a doggone cruel ol‘ town! You don’t believe me, man? I’ll be glad to show you ‚round“. Ein Statement voller Hassliebe. Der Sinn des Projekts war aber in erster Linie, ein StĂŒck MĂŒnchner Underground sichtbarer werden zu lassen. Ausgangspunkt war eine in der „MĂŒnchner Stadtzeitung“ platzierte Annonce: „Workshop mit Auftrittsmöglichkeiten“, hieß es da. Gesucht wurden „SĂ€nger*innen, Musiker*innen, Dichter*innen, die den Blues haben“, um ein gemeinsames Repertoire fĂŒr eine Veranstaltung zusammenzustellen. Daraus wurden schnell drei abendfĂŒllende Programme beim Feierwerk „Fest ’86“ und an zwei „Blues-Tagen“ im Westpark-Theatron. Das verlieh den Musikertreffen und Jam-Sessions weiteren Schub. Seit der Aufnahme des kontinuierlichen Konzertbetriebs in der Hansa 39 im Dezember 1986 prĂ€sentierte sich die Blues-Szene regelmĂ€ĂŸig und immer hĂ€ufiger mit Konzerten, Festivals und Workshops.

„Got My Mojo Workin‘“

Am 20. und 21. MĂ€rz 1987 legte „The ‚Mojo‘ Ram Jam Blues Gang“ dann gleich mit einem zweitĂ€gigen Festival los. Die Bandbreite reichte von Bigband-Sound, neu arrangierten Traditionals ĂŒber Jazz, Funk-Groove und Swing bis zu Country Blues und „Jug Band Music“ (hier wird der Bass auf einem großen Whiskey-Krug geblasen). Sechs Bands und GĂ€ste, wie der „Jazz Rock Fusion“-Pionier Jim Pepper, sorgten fĂŒr Abriss und machten die VielfĂ€ltigkeit des Blues erlebbar. In jeder der beim „’Mojo‘ Ram Jam Blues & Jazz Festival“ aufgetretenen Formationen steckten verschiedene Angehörige der neunköpfigen Band.

Mojo Ram Jam Blues Gang featuring Jim Pepper. „Got My Mojo Workin“:

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Mit ihrem signifikanten, unterhaltsamen und tanzbaren Sound quer durch die Black Music Styles, mit griffigen Arrangements, einer fetten BlĂ€sersektion, einer Wahnsinns-Rhythmus-Gruppe und nicht weniger „wahnsinnigen“ Harp-Soli war „The ‚Mojo‘ Ram Jam Blues Gang“ einer der profiliertesten Acts unter den Bands, die sich bei „Munich Blues“ trafen. Die eigenwillige, spannungsgeladene Performance von Frontmann Sandy ‚Mojobone‘ Fischer stellte eine Verbindung zur magischen Tradition in der Black Music her.

Munich’s Wild Years

Irgendwie kommt einem da John Lee Hooker’s ErzĂ€hlung vom „Boogie Chillun“ in den Sinn: Schon mit 16 Jahren hatte Sandy ‚Mojobone‘ Fischer Zugang zu den Hotspots fĂŒr Jazz, Blues, Soul und US-Avantgarde-Musik im MĂŒnchen der 60er Jahre. In einem Freizeitheim hatte er den Gitarristen der „Mojos“, der ersten stadtbekannten Soulband, kennengelernt. Der hat ihn in den „Birdland Club“ eingeladen. Dieser Club in der Kirchenstraße in Haidhausen und das „Tabarin“ in der Thierschsstraße waren sogenannte Ami-Clubs, in denen jede Menge schwarze G.I.s und Musiker*innen unterwegs waren. „Dort hatte nur die Military police (MP) was zu melden, nicht aber die MĂŒnchner Polizei. Deshalb konnten wir 16jĂ€hrigen uns ĂŒberhaupt da drinnen aufhalten“, erinnert sich Sandy. So sind schon frĂŒh eine Reihe von Freundschaften entstanden. In den USA wurde Black Music als „Race Music“ unter der Decke gehalten, wĂ€hrend Blues und Soul in Europa in den 60er Jahren richtig gefeiert wurden. Die schwarzen Musiker*innen „haben sich total gefreut, dass wir Jungen uns fĂŒr ihre Musik interessiert haben. Die haben uns dann quasi auch in die anderen Clubs reingeschleust.“ Außerdem existierte ein richtiger Underground: wilde, legendĂ€re Schuppen wie die „Costa Rica Bar“ oder die „New Cracker Box“ in der Leopoldstraße. Das Publikum bestand aus jeder Menge G.I.s aus den US-Kasernen im MĂŒnchner Norden, Prostituierten, ZuhĂ€ltern, Halbkriminellen. TĂ€glich fanden Livebands statt, vor allem Rock ’n‘ Roll,
Rythm ’n‘ Blues und Soul – „die beste Musik der Stadt“. So ist es eigentlich logisch, dass „The ‚Mojo‘ Ram Jam Blues Gang“ und ihre Seitenprojekte einen Melting Pot aller möglichen Strömungen darstellten, zu denen Sandy schon frĂŒhzeitig Zugang hatte.

Selbstorganisation

Neben den Sessions und Konzerten im Feierwerk war die Kontaktsuche zu Musiker*innen und Ă€hnlichen Initiativen in anderen Regionen Bestandteil des Projekts. Das Ziel war, in einem fĂŒr berufstĂ€tige Musiker*innen erreichbaren Raum außerhalb MĂŒnchens Auftritte selbst zu organisieren. Unter dem Titel „Jazz & Blues History Tour“ fanden zum Beispiel in Kooperation mit der OberallgĂ€uer Musikercooperative im Oktober und November 1987 unter starker Beteiligung MĂŒnchner Bands Festivals in Immenstadt, Sonthofen, Oberstdorf und MĂŒnchen statt. Unter dem Stichwort „Bandaustausch“ gab es in der Folge in vielen StĂ€dten und StĂ€dtchen gemeinsame Konzerte mit lokalen Bands, die von den Musiker*innen selbst gemanagt wurden. Aus einem kleinen Haufen Session-Fans entstand zudem die Idee, „Munich Blues“ als eigene Initiative zu grĂŒnden. Über das Musikalische hinaus ging es darum, das randstĂ€ndige Image des Blues zu verbessern, durch Veranstaltungen und Workshops vorzufĂŒhren, was alles in dieser Musik steckt und dabei auch Foto- und bildende Kunst, Malerei und Performance einzubinden. In der kurzen Zeit seines Bestehens gab der „Munich Blues e.V.“ das Fanzine „Munich Blues News“ heraus und veranstaltete den „Bavarian Blues Award“. „The Natural Ball“, das Silvester-Festival am 30./31. Dezember 1989 in Kooperation mit dem Blues-Forum Rhein-Neckar e.V. war wunderbar, die HĂŒtte war voll bis unters Dach, aber die rauschende Party brachte die wenigen Aktiven des Vereins auch an den Rand ihrer KrĂ€fte.

Der erste Szene-Sampler

Um den Bandaustausch voranzutreiben, wurde erst einmal mit Hilfe eines Radiorecorders mit zwei Laufwerken eine Sammelkassette mit den Demoaufnahmen von acht Gruppen aus dem Dunstkreis von „Munich Blues“ zusammengestellt. Irgendwie gefiel das auch dem MĂŒnchner Jugendkulturwerk, das erstmals das Feierwerk-Projekt eines Szene-Samplers finanzierte. „Munich Blues Sunrise“ war der Titel der ersten, Anfang 1988 erschienenen, LP dieser Art und prĂ€sentierte ein Repertoire, das von Traditional- und Chicago-Blues, ĂŒber Rhythm ’n‘ Blues und Dancefloor-Blues bis zum Garagenblues reichte. Seither gibt es im Feierwerk immer wieder Szene-Sampler bzw. Kompilations mit unterschiedlichem Ansatz. Zwischen 1989 und 1991 erschienen die LPs „Munich Latin LocomociĂłn“, „Jazz – Live Aus Dem Feierwerk MĂŒnchen“ und „Hard ‚N Heavy Live Im Feierwerk!“. Ab 1994 wurde auf CD umgestellt. Der Sampler „Blues Attraction“ beleuchtete erneut die Blues-Szene. Es folgten weitere „Live im Feierwerk“-Veröffentlichungen. „Chiller Lounge Records“ produzierte zwischen 1997 und 2003 die Kompilations „Feierwerk – Sommerfest“. Seit 2011 bringen das Feierwerk und die SĂŒddeutsche Zeitung beim „Sound Of Munich Now“ in jedem Jahr den Sampler zum Festival unter die Leute.

Bob hat im September 1985 bei Feierwerk als BĂŒromensch ("Sachbearbeiter") angefangen. Er hat Eintrittskarten verkauft, Veranstaltungstechnik auf- und abgebaut und Biertragerl gestapelt. Anfang der 2000er Jahre ist er in der Pressestelle gelandet.

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