Kunst

Geschlossene Gesellschaft – ein Porträt des Lockdowns der Münchner Kulturszene

„Es wird uns eine Leere sein“ – mit diesen Worten im Schaufenster begrüßt der Feierwerk Farbenladen im September zu seiner Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“. Der Münchner Christian Schmid hat während des Lockdowns die hiesige Kneipen-, Bar- und Clublandschaft festgehalten – vielmehr die Geisterstadt-ähnliche Stille, die vor den Türen bestand. Dort, wo normalerweise Leben und Trubel herrscht. Ein Besuch, und ein kleiner Rückblick.

Erinnerungen an die ganz „normale“ Zeit

Februar 2020, bestimmt erinnerst du dich noch daran. Du warst mit Freund*innen in einer Bar einen trinken, in einem Club die Nacht durchtanzen oder bist gemeinsam mit dir völlig Fremden vor der Bühne zur Musik deiner Lieblingsband herumgesprungen. Erinnerst du dich noch? Du hättest dir nie träumen lassen, dass die Situation einmal so aussehen kann, dass du nicht in deiner Stammkneipe die netten Leute vom Nachbartisch in ein philosophisches Gespräch mit einbindest. Dass du an dem Abend in deiner Lieblingsbar nicht mehr mit dem netten Mädl an der Bar anbandelst oder dreimal überlegst, ob du dein Online-Date auch wirklich in live kennenlernen wirst. Du bist spontan durch die Kneipen in der Anonymität der Nacht gezogen; dass irgendwann jede Bar deine Handynummer besitzen würde, daran hättest du nie gedacht. Denn damals war Corona noch ganz weit weg. Nicht hier bei uns, nicht hier bei dir.

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Geschlossene Gesellschaft – die Münchner Kulturszene hat zu

Februar 2020 war alles noch „normal“, bis sich mit einem Schnips alles um 180 Grad gedreht hat. Corona war da und von einem auf den anderen Tag war deine Lieblingsbar, dein zweites Wohnzimmer, zu. Das Konzert, auf das du dich seit einem halben Jahr gefreut hattest, wurde abgesagt. Und spontan mal schnell im liebsten Café vorbei schauen, das gab es auch nicht mehr. Die Straßen waren leer , und das vor allem nachts. Geschlossene Gesellschaft. Die Situation kam einem wie ein schlechter Hollywood Streifen vor, nur dass das nun unser neuer Alltag sein sollte. Nach einer Weile hattest du dich daran gewöhnt, bist halt mehr daheim geblieben. Hast dich geärgert, dass du jetzt nochmal warten musst, bist du deine Lieblingsband live sehen kannst. Aber dir war klar: es wird schon wieder. Du bist in deinem neuen Alltag angekommen, und so richtige Gedanken hast du dir nicht mehr gemacht. Denn es wird ja irgendwann rum sein, dachtest du.

Solidarität mit den Kulturschaffenden!

Wer sich jedoch während des Lockdowns sehr viele Gedanken gemacht hat, ist Christian Schmid. Er hat sich gefragt, was mit seinen liebsten Bars und Clubs eigentlich los ist? Was soll aus denen werden? Aus all jenen, die auf ewig mit vielen unserer Erinnerungen verhaftet bleiben würden. Irgendwie wollte er ihnen helfen. Also kauften Christian und seine Freundin alle möglichen Solidaritäts-Artikel der Club & Bar Szene ein. Von Shirts über Jute-Beutel bis hin zu Gutscheinen – alles war dabei. Doch das hat ihnen nicht gereicht, sie wollten viel mehr tun. Sie entschieden sich dazu, auf die kulturelle Misere in unserer Stadt aufmerksam machen zu wollen, und zogen auf dem Fahrrad mit ihrer Kamera bewaffnet nachts los durch die Straßen. Sie nahmen Fotos von menschenleeren Straßen, erloschenen Leuchtschildern und bedrückender Stille auf. An den Plätzen, wo normalerweise hunderte Leute eng umschlungen nebeneinander standen und ihr Leben lebten, herrschte nun gähnende Leere.

Geteilt werden sollten die Bilder auf Instagram. Begonnen haben sie mit ihren Lieblingsorten, dann weiteten sie die Aktion auf insgesamt knapp 90 Portraits von Clubs, Konzert-Locations und Bars, wo nicht eine Menschenseele mehr war, aus. Entstanden ist dabei das Foto-Projekt „Geschlossene Gesellschaft“. Es zeigt Orte, wo sich normalerweise Jung und Alt tummeln, um gemeinsam einen schönen Abend zu verbringen. Orte, an denen es vollkommen normal war, dass man auf neue Menschen getroffen ist. Mit der Ausstellung im Farbenladen möchte Christian darauf aufmerksam machen, dass nach wie vor – obwohl das Meiste wieder offen hat – vor allem die Ausgeh-Szene noch lange nicht über den Berg ist.

Nicht nur für uns – sondern für alle, die noch kommen

Klar gibt es jetzt die Freischankflächen, und wir können bei der Sommerbühne im Stadion oder den Live-Sessions im Feierwerk wieder ein klein wenig zur Kultur-Normalität zurückkehren. Jedoch sollten wir auch daran denken, was alles steht und fällt, sollte sich nicht schleunigst etwas ändern. Denn es sind nicht nur ein paar schöne Abende, die unter der aktuellen Lage leiden, sondern vor allem auch die Menschen, die uns diese schönen, obig erwähnten Erinnerungen bereiten. Sozusagen die Seele der Kultur und die Zukunft der Szene. Bei meinem Gespräch mit Christian erwähnte er seine Kids, und dass er mit der Ausstellung auch zeigen möchte, was unseren folgenden Generationen entgeht, sollten wir nicht endlich helfen. Denn denkt man zurück an die Zeit, wo man seine eigene Persönlichkeit entwickelt hat, führt vieles auf Orte zurück, die aktuell in einer ziemlichen Misslage stecken. Da stellt sich mir die Frage: wo sollen die zukünftigen Generationen an Metaller*innen hin, wenn das Backstage nicht mehr am Hirschgarten steht? Wo sollen junge Bands und Künstler*innen hin gehen ,wenn sie ihre erste Auftrittsmöglichkeit im Feierwerk nicht mehr finden? Wo sollten Uni-Erstis hin gehen, wenn das Barschwein zu ist? Jede*r von uns ist in genau solchen Läden erwachsen geworden und hat hier tolle Menschen kennengelernt, die einen immer noch begleiten. Wir haben gegen die Eltern rebelliert und Leute gefunden, die die eigenen Gedanken teilen. Es ist so viel mehr, was wir verlieren können, als nur einen schönen Abend mit den Freund*innen.

So könnt ihr die „Geschlossene Gesellschaft“ unterstützen!

Jetzt fragt ihr euch vielleicht: „Wie kann ich helfen? Ich will, dass auch meine Kinder ihren Platz auf der Welt finden, genauso wie ich!“ Christian hat mit seiner Ausstellung ein einfaches Konzept entwickelt: Er verkauft die Drucke. Der Erlös für jedes verkaufte Bild wird an die jeweilige Location gespendet. Er hofft, so zumindest ein klein wenig für die Betreiber*innen tun zu können, und so dem Kultur-Sterben entgegenzuwirken. Vielleicht ist eure liebste Bar, euer Lieblingsclub oder eure liebste Konzertlocation ja auch bei „Geschlossene Gesellschaft“ dabei? Schaut doch mal vorbei und begebt euch auf die Suche. Und schwelgt in Erinnerungen an Abende, die hoffentlich wieder kommen werden.

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Lisa hat in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit im Feierwerk eine Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation abgeschlossen und bleibt dem Verein weiterhin als Bloggerin erhalten. Privat ist Lisa ein großer Live-Musik-Enthusiast und hat ein Faible für selbstgemachten Eistee.

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